Ehrenamtsakademie im Dekanat Kronberg

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    Utopien

    Auf der Suche nach der verlorenen Hoffnung

    P. BerneckerDiskussionDebatte auf Augenhöhe: Dr. Mareile Lasogga (rechts), Direktorin des Konfessionskundlichen Institutes in Bensheim, moderierte am eine hochkarätige Diskussion zwischen Dr. Klaus Kufeld (Mitte) und Prof. Dr. Peter Scherle (links). Die Diskussion um die Frage nach der Utopiefähigkeit des Christentums war Teil der Veranstaltung "Utopia - Macht - Religion" der Schader-Stiftung.

    Vor 500 Jahren veröffentlichte Thomas Morus seine „Utopia“. Aber was sind eigentlich Utopien? Warum gibt es keine mehr? Und was hat die Religion damit zu tun? Damit beschäftigte sich eine Fachtagung der Darmstädter Schader-Stiftung.

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    am Rednerpult am Rednerpult Jörke redet, man sieht Teile des Publikums alle drei auf dem Podium

    Die Wut von Protestwählern, die in den USA für Donald Trump oder in Europa für rechtspopulistische Parteien gestimmt haben, rührt nach Ansicht der Berliner Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan von deren Angst her. „Sie sehen vor dem Hintergrund der Globalisierung keine Zukunft für sich“, sagte Schwan am 9. November bei einer Fachtagung der Schader-Stiftung in Darmstadt über „Utopia. Religion – Macht – Gesellschaft“. Die bis in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vorherrschende Hoffnung, dass die Zukunft stets Fortschritt bringen werde, sei angesichts zahlreicher Krisen verloren gegangen.

    Der Markt ersetzt das „Prinzip Hoffnung”

    Die Vorherrschaft des Marktes und des Wettbewerbs habe das „Prinzip Hoffnung” ersetzt, kritisierte die frühere Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder bei einem öffentlichen Vortragsabend während der Tagung. Diese Vorherrschaft produziere neben Siegern vor allem Verlierer, deren Nachkommen zumeist auf Dauer Verlierer blieben. Ausgerechnet der „Sieger-Typ“ Trump habe solche Verlierer „magisch angezogen“. „Da braut sich etwas zusammen“, stellte Schwan fest, die sich auf Vorschlag der SPD zwei Mal – 2004 und 2009 – vergeblich um das Amt des Bundespräsidenten beworben hatte.

    Sicherheit stehe heute höher in Kurs als Freiheit, rügte Schwan. „Mauern und Grenzen sind mittlerweile positiv belegte Begriffe.“ Nur die Religion sei noch zu „Heilsversprechen jenseits empirischer Fakten“ in der Lage.

    Der menschlichen „Grundbefindlichkeit des Angsthabens“ setze sie die Utopie einer „freundlichen Gesellschaft“ entgegen. Utopien seien „Entwürfe für ein geglücktes soziales Leben“. Wo eine solche Grundstimmung fehle, entstünden „Aggression, Hass und Ressentiment“.

    Das „Ende des utopischen Zeitalters“

    Der Sozialwissenschaftler Ulrich Bartosch von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hatte zuvor den Zusammenbruch des Sozialismus in der Sowjetunion und deren Satelliten 1989 bis 1991 als das „Ende des utopischen Zeitalters“ markiert. Gleichwohl seien Utopien notwendiger denn je. Sie machten überhaupt erst die Entscheidung möglich, „ob es etwas Richtiges und etwas Falsches geben kann“.

    Der Wirtschaftswissenschaftler Uwe Schneidewind von der Bergischen Universität Wuppertal ging hart mit der aktuellen Forschung ins Gericht. Vor allem die Wirtschaftswissenschaft habe im Verlauf der Jahrhunderte „ihre utopische Kraft komplett verloren“ und verstehe sich als reiner Beobachter. Diese „Systemwissenschaft“ frage lediglich danach, „was ist?“, und nicht, „was ist möglich?“. Sie entwickele keinerlei inspirierende Kraft. Erforderlich sei eine „Transformationswissenschaft“, die vorausschaue.

    Die Auseinandersetzung mit den Folgen der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft überlasse die Ökonomie den Sozialwissenschaftlern und Informationstechnologen. Wissenschaftler könnten heutzutage Karriere machen, indem sie sich „mit methodischer Genauigkeit völlig irrelevanten Fragen widmen“, kritisierte Schneidewind. Als Beispiel führte er Sportökonomen an, die mit „ungeheuren Datensätzen die Entwicklung der Dritten Fußball-Liga analysieren“.

    Utopie geht über die menschliche Vorstellungskraft hinaus

    Ob das Christentum utopiefähig sei, diskutierten am Abend des 10. Novembers Dr. Klaus Kufeld und Prof. Dr. Peter Scherle zum Abschluß der Utopia-Veranstaltung. Kufeld, Leiter des Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen am Rhein, erörterte das Prinzip Hoffnung, wie es der Philosoph Ernst Bloch Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelt hatte. Das Utopieverständnis des Marxisten Bloch sei auf einen diesseitigen Freiheitsbegriff gerichtet. Religion bedeute Rückbindung auf die konkreten Lebensverhältnisse der Menschen, eine conditio humana, die letztlich ohne eine metaphysische Transzendenz auskomme. Laut Kufeld habe es Ernst Bloch dialektisch so formuliert: Nur ein Atheist könne ein guter Christ sein. Schließlich gehe es im Christentum um die Demontage theokratischer Machtverhältnisse. Das beginne bereits bei der Exodus-Geschichte: Der Auszug aus Ägypten sei motiviert durch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Moses, Hiob, Jesus, Joachim de Fiore, Giordano Bruno, Martin Luther und Thomas Müntzer stünden bei Bloch in einer Reihe, sie seien jene Rebellen, die in den Menschen ein „Zukunftsgewissen“ mobilisiert hätten.

    Heute müsse Religion mit der Philosophie auf Augenhöhe diskutieren, welche Werte in einer globalisierten Welt universelle Gültigkeit besäßen. Die Utopiefähigkeit des Christentums entscheide sich an der Frage „Wie wollen wir leben“. Und das in einer Situation, in der der Menschheit der Weltuntergang quasi im Nacken sitze, so Kufeld.  Um sozialethische Fragen komme man daher genausowenig herum wie um Fragen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes.

    Sozial-Utopie versus Verheißung ewigen Lebens

    Dr. Peter Scherle, Professor am Theologischen Seminar Herborn, stimmte den Ausführungen Kufelds weitgehend zu, erweiterte jedoch den christlichen Utopiebegriff um eine zusätzliche Dimension. Er könne sich keine Utopie vorstellen, die „nichts darüber sagt, was mit den Toten geschehe“. Die Verheißung des ewigen Lebens sei fester und zentraler Bestandteil christlichen Glauben. Das stärkste utopische Bild enthalte die Offenbarung. Im neuen Jerusalem gelte: „und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“ (Offenbarung - Kapitel 21, Vers 4, Lutherübersetzung 2017).

    Diese starken und letztlich über das Vorstellungsvermögen des Menschen hinausragenden utopischen Bilder mache die Utopiefähigkeit des Christentums aus, betonte Scherle. Damit greife die christliche Utopie weit über das hinaus, was zum Beispiel Thomas Morus in seiner „Utopia“ beschrieben habe. Morus habe mit seinen Bildern von einem guten Leben sehr praktische politische Visionen beschrieben, die durchaus totalitäre Züge trügen, aber auch den Keim der Parodie in sich trügen. So gesehen sei die „Utopia“ bereits als Kunstwerk angelegt und nicht in erster Linie als politisches Programm. Die christliche Lehre von der Hoffnung auf Vollendung und den Anbruch einer neuen Welt (Eschatologie) beantworte aber nicht die Frage nach dem guten oder richtigen Leben im Diesseits, so Scherle. Sie richte das Augenmerk vielmehr auf eine immergültige Wahrheit.

    Wissenschaftler und Studenten verschiedener Disziplinen beschäftigten sich bei der Schader-Stiftung vom 9. bis 11. November mit dem Sinn und dem Wesen von Utopien. Anlass war die Veröffentlichung des Zukunftsentwurfs „Utopia“ des englischen Philosophen und Politikers Thomas Morus vor 500 Jahren. Zu den Veranstaltern gehörten auch die Evangelische Akademie Frankfurt, die Arbeitsstelle Reformationsjubiläum der hessen-nassauischen Kirche und das Haus am Dom des katholischen Bistums Limburg.

    Die Schader-Stiftung wurde 1988 von dem Bauingenieur Alois M. Schader in Darmstadt gegründet. Ihr Anliegen ist es, den Praxisbezug der Gesellschaftswissenschaften zu stärken. Projekte sind unter anderem Wohnen im Alter, Stadtentwicklung, Digitalisierung und Integration von Zuwanderern.

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