Ehrenamtsakademie im Dekanat Kronberg

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    Sehbehindertensonntag

    Blind in die Hebräisch-Prüfung

    Bildquelle: gettyimages, fstop123Braille-TextDie Bibel gibt es auch in Braille-Schrift für blinde Menschen

    Brigitte Buchsein ist blind – zugleich Prädikantin in der Oberurseler Auferstehungsgemeinde, Kirchenvorsteherin und in der Blinden- und Sehbehindertenseelsorge der EKHN aktiv. Neue Herausforderungen mag sie: Im Oktober hat sie neben ihrem Beruf als Softwareentwicklerin angefangen, Theologie zu studieren.

    privatBrigitte BuchseinBrigitte Buchsein

    Frau Buchsein, Sie beteiligen sich am Sehbehindertensonntag mit drei verschiedenen Gottesdiensten, die sie gestalten. Warum gibt es diesen Aktionsmonat, was möchten Sie damit erreichen?

    Brigitte Buchsein: Der Sehbehindertensonntag im kirchlichen Bereich ist im Kontext des Weltsehbehindertentages entstanden, der jedes Jahr am 6. Juni stattfindet. Es geht darum, auf die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen aufmerksam zu machen. Dazu gehört die Frage, wie Gesellschaft so gestaltet werden kann, dass sich blinde und sehbehinderte Menschen gut zurecht finden und aufgehoben fühlen und teilhaben können. Mit dem Aktionsmonat möchten wir auch in den Kirchen auf diese Belange aufmerksam machen. Zugleich ist der Sehbehindertensonntag auch ein Angebot an betroffene Menschen, sich gerade an diesem Tag besonders wohl zu fühlen.

    Wie müssen Gottesdienste und das Gemeindeleben konkret aussehen, um den Bedürfnissen blinder und sehbehinderter Menschen gerecht zu werden?

    Buchsein: Zunächst gelten die gleichen Bedingungen wie auch an anderen Orten. Baulich sollten zum Beispiel Eingänge und Treppen so markiert werden, dass sie gut sichtbar sind. Eine gute Hilfe ist es zudem, wenn Kirchenvorsteher:innen betroffene Personen am Eingang ansprechen und fragen, ob sie Hilfe benötigen, etwa um einen Platz zu finden oder nach vorne zum Abendmahl zu gehen. In der Liturgie ist es sinnvoll  anzusagen, welche Lieder gesungen werden oder wann die Gemeinde aufstehen muss. So kann man schon mit kleinen Ansagen ganz viel helfen.   

    Sie arbeiten seit vielen Jahren als Prädikantin und gestalten Gottesdienste in verschiedenen Gemeinden. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht, wie haben Gemeinden auf Ihre Blindheit reagiert?

    Buchsein: Ich bin schon seit meiner Jugend damit beschäftigt, auf Gemeinden zuzugehen und zu sagen: ‚Ich möchte in den Gottesdienst, ich möchte hier mitarbeiten, was können wir tun?‘ Vieles kann ich allein, aber ich brauche zum Beispiel auch jemanden, der mir hilft, einen Platz zu finden. Meine Erfahrung ist: Wenn man den Leuten sagt, was man braucht, dann macht man es ihnen auch einfacher, sich darauf einzustellen. So habe ich mich dann als Prädikantin auch getraut, in fremden Gemeinden Gottesdienste zu halten.  

    "Ein gemeinschaftliches Erlebnis, das man gemeinsam gestalten kann"

    Gibt es dennoch Barrieren, auf die Sie im Gottesdienst stoßen?

    Buchsein: Barrieren nicht, Herausforderungen ja: Ein Beispiel ist das Abendmahl. Ich kann die Einsetzungsworte sprechen, aber beim Austeilen von Brot und Wein wird es dann schon schwieriger. Dabei hilft mir dann der Kirchenvorstand. Der ist ja auch ohnehin Teil des Abendmahls. Das Spannende ist: Wenn man wie ich Gottesdienste mit einer Behinderung gestaltet, erlebt man das, was Gottesdienst ohnehin sein sollte: Ein gemeinschaftliches Erlebnis, das man gemeinsam gestalten kann.

    Grundsätzlich gefragt: Wie inklusiv sind wir denn heute schon als Kirche und als Gesellschaft?

    Buchsein: Es hat sich in den letzten Jahren extrem viel getan. Baulich haben wir große Fortschritte gemacht. Auch digital ist Barrierefreiheit ein Thema. Aber Haushaltsgeräte zum Beispiel sind heute für blinde Menschen schlechter zu bedienen, wenn sie einen Touchscreen haben.

    Und wie sieht es in der Kirche aus?

    Buchsein: Die Kirche hatte früher eher einen Fürsorgecharakter. Sie hat gefragt, was man für Menschen mit Behinderung tun kann. Heute wissen wir, dass wir nicht nur für Menschen etwas tun können, sondern wir müssen mit ihnen etwas tun. Deswegen finde ich den Umgang miteinander ganz wichtig: Miteinander kommunizieren, nachfragen, offen sein für verschiedene Hilfsangebote. Und nicht enttäuscht sein, wenn jemand mal die Hilfe ablehnt. Hier sind wir auf einem guten Weg, haben aber noch viel vor uns. 

    Was bedeutet der Glaube für Sie persönlich?

    Buchsein: Für mich ist Glaube eine große Stärkung im Leben, die mir ganz viel Motivation und Kraft gibt. Mein Lieblingsvers in der Bibel lautet: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Timotheus 1,7). Der Glaube war für mich immer wieder da und in verschiedenen Situationen spürbar. Er hat mir die Kraft gegeben, auf andere Menschen zuzugehen und den Mut zu fassen, auch mal was ganz neues auszuprobieren.

    Jeder und jede von uns ist Ebenbild Gottes

    Spielt in dem Kontext auch Ihre Blindheit eine Rolle?

    Buchsein: Ich würde Gott niemals für meine Blindheit verantwortlich machen – jede und jeder von uns ist Gottes Ebenbild. Spannend sind auch immer wieder Heilungsgeschichten in der Bibel. Manche Menschen in meinem Umfeld sagen: ‚Schade, dass es dir nicht so geht wie dem blinden Bartimäus.‘ Aber ich habe nie dran gedacht wie schön es wäre, wenn Gott mich geheilt hätte. Natürlich wäre es im konkreten schön, sehen zu können. Freunde, die Natur sehen, oder einfach mich selbst im Spiegel. Aber manchmal habe ich schon überlegt, ob mein Leben nicht langweiliger wäre, wenn ich sehen könnte. Dann wäre ich nämlich in vorgegebenen Rollen stecken geblieben. So habe ich mir mit meiner Blindheit Herausforderungen suchen müssen, aber fand sie auch spannend und bin sie gern angegangen.

    Eine Herausforderung die Sie aktuell angehen ist Ihr Theologiestudium, und das neben ihrem Beruf und ihrem ehrenamtlichen Engagement. Warum noch ein Studium mit dazu?

    Buchsein: Nach dem Abitur habe ich Wirtschaftsingenieurswesen studiert, ein mathematisch geprägtes Studium mit einem Schwerpunkt auf Informatik. Mit Zahlen konnte ich immer schon gut. Damals kannte ich das Prinzip der Assistenz noch nicht – also das man als blinde Person von einer sehenden Person unterstützt wird, wo man aufgrund der Behinderung Hilfe braucht. Gemeindepfarrer waren damals häufig Einzelkämpfer, deswegen konnte ich mir das schwer vorstellen. Dennoch hat mich die Theologie nie losgelassen.

    Und wie läuft es an der Uni? Gibt es auch im Studium Barrieren, auf die Sie stoßen?

    Ja, die alten Sprachen. Es gibt zum Beispiel eine hebräische Blindenschrift, die ich erstmal lernen musste. Dann musste mein Notebook so umgerüstet werden, dass es diese Schrift auch ausspielen kann. Ein befreundeter Pfarrer hat mir hebräische Vokabeln aufgelesen und per Sprachnachricht geschickt. Und der Dozent an der Uni hatte Lernvideos, in denen er alles gut verbalisiert hat. Dieses Zusammenspiel von eigenem Einsatz, Leuten, die mich unterstützen und ein Dozent, der sich auf die ganze Sache einlässt und gesagt hat: ‚Irgendwie schaffen wir das!‘ So habe ich meine Hebraicumsprüfung geschafft und danach erstmal auf Wolke 7 geschwebt.

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