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    Gesellschaft

    „Den Gesprächsfaden niemals abreißen lassen“

    PeopleImages/istockphoto.com

    Polpulismus und Wut zerreißen die Gesellschaft. Wie kann der aktuelle Riss durch die Gesellschaft überwunden werden?

    Spätestens seit den Landtagswahlerfolgen der AfD, dem Brexit und dem Triumph des Populisten Donald Trump in den USA scheint die Diagnose klar: Durch die westlichen Gesellschaften geht ein Riss. Auf der einen Seite formieren sich diejenigen, die sich abgehängt und heimatlos fühlen und die es „denen da oben“ endlich einmal zeigen wollen. Auf der anderen Seite verfallen die Anhänger eines pluralistischen, bunten Miteinanders vor so viel Wut, Ressentiment und Aggression zunehmend in eine Schockstarre. Wie man dennoch im Gespräch bleiben kann, zeigte in Bad Homburg das 21. Gesellschaftspolitische Forum im Evangelischen Dekanat Hochtaunus. Das Thema lautete in Anspielung an den berühmten Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974 „Angst essen Mitte auf“.

    Auf dem Podium in der Schlosskirche diskutierten vor rund 150 Besuchern die Flüchtlings- und Sozialdezernentin des Hochtaunuskreises, Katrin Hechler (SPD), der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, der Publizist und ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg, der Gründer der „Hotline für besorgte Bürger“, Ali Can, sowie der Leiter der evangelischen Nachrichtenagentur „idea“, Helmut Matthies. Es moderierte der frühere Redakteur des Hessischen Rundfunks, Meinhard Schmidt-Degenhard. Alle waren sich rasch darin einig, dass viele Menschen in Deutschland tief verunsichert sind und große Angst haben vor der Zukunft.

    Menschenwürde darf nicht verletzt werden

    „Wir befinden uns in einer Umbruchsituation und müssen neu lernen, mit religiöser, kultureller und sexueller Vielfalt umzugehen“, analysierte Kirchenpräsident Jung. Das sei schön und anstrengend und bringe mitunter auch Schwierigkeiten mit sich. Man dürfe aber niemals den Respekt vor den Anderen verlieren und deren Menschenwürde verletzen. Er ärgere sich besonders über die „Angstmacher“ und die großen Vereinfacher, die mit Lügen operierten und Wut und Hass schürten, sagte Jung.

    „Neid und Wut gehören zum Leben“

    Der Gießener Lehramtsstudent Can, der alevitisch-kurdischer Herkunft ist, hat festgestellt, das die meisten Anrufer von einem „diffusen Gefühl der Angst und Unsicherheit“ beherrscht werden. Sie ärgerten sich vor allem über „strukturelle Probleme“, etwa dass sie zu wenig Rente beziehen, dass ihre Wohnungen zu teuer und sie nicht in die gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Er habe großes Verständnis für diese Anrufer, sagte Can, „Neid und Wut gehören zum Leben“. Er lege nur dann auf, wenn er beleidigt und mit Hassreden überzogen werde.

    Gefühle überlagern Fakten

    Nach Beobachtung von Sozialdezernentin Hechler laden viele Menschen ihre eigenen Probleme auf dem Rücken von Flüchtlingen ab. Sie hätten das Gefühl, dass Geld für Syrer, Afghanen oder Eritreer da sei, aber nicht für sie selbst, und dass das Thema Migration alle anderen Themen überlagere. „Die Situation ist aber gar nicht so angespannt wie viele glauben. Anfang der 1990er Jahre lebten etwa 6.000 Flüchtlinge im Hochtaunuskreis, heute sind es nur etwa halb so viele“, sagte Hechler.

    Parteien müssen Debatten weiter führen 

    Für Müller-Vogg und Matthies ist es keine Überraschung, dass sich der Unmut über den Füchtlingszuzug und den zeitweisen „Kontrollverlust“ bei der Einreise zum Erstarken der AfD geführt hat. Die etablierten Parteien seien hochmütig gewesen und hätten „Denkverbote“ erlassen, sagte Matthies. So habe etwa die CDU die Debatte über Heimat, Nation und Europa nicht mehr geführt und damit die AfD aufgewertet. Man müsse aber keine Angst davor haben, dass „so honorige Persönlichkeiten wie Alexander Gauland, Frauke Petry, Konrad Adam und Jörg Meuthen“ 2017 in den Bundestag einzögen.

    „Die AfD ist gar nicht so harmlos“

    Dem widersprachen Müller-Vogg und Kirchenpräsident Jung. „Die AfD ist gar nicht so harmlos“, sagte Müller-Vogg. Einige Funktionäre wie etwa Beatrix von Storch und Wolfgang Gedeon hätten sich durch ihre Schießbefehl-Äußerung beziehungsweise ihre kruden judenfeindlichen Thesen völlig unmöglich gemacht. Jung sprach von vielen „menschenfeindlichen Äußerungen“ in der Partei, die ihm große Sorge bereiteten. Im Übrigen sei die AfD, „die Anfang 2015 fast weg vom Fenster gewesen sei“, durch ihre aggressive Anti-Flüchtlings-Politik massiv nach rechts gerückt. Ebenso wie Can wies Jung die These von Denkverboten oder einem „Meinungsdiktat“ zurück.

    Niemanden „abhängen“

    Was tun gegen Ressentiments, Menschenfeindlichkeit und den Triumphzug des „Postfaktischen“? „Einen Wutbürger wird man nicht mit Dateien und Statistiken erreichen, sondern nur auf der Gefühlsebene“, ist sich Can sicher. Außerdem müsse man die interreligiösen und interkulturellen Begegnungen und die Bildungsarbeit stärken und etwa in der Schule die Fächer „Zwischenmenschlichkeit“ und „Gewaltfreie Kommunikation“ einführen. Der Gesprächsfaden dürfe niemals abreißen, betonte Can. Auch er habe Freunde, die Erdogan-Anhänger seien. „Es gibt einen Ort jenseits von richtig oder falsch, wo man sich treffen kann.“

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