Ehrenamtsakademie im Dekanat Kronberg

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    Axt an die Wurzel legen

    Diskussion um das Alte Testament der Bibel

    Rita DeschnerBibel und HändeJahrtausende alte Geschichten werden zwischen den Buchdeckeln der Bibel lebendig

    Was am Alten Testament spezifisch christlich sei, fragt der Berliner Theologieprofessor Notger Slenczka. Eine »Neuauflage des protestantischen Antijudaismus« wirft ihm Friedhelm Pieper vor, hessen-nassauischer Pfarrer und Präsident der christlich-jüdischen Gesellschaften.

    [Evangelische Sonntags-Zeitung, epd]

    Das „Marburger Jahrbuch Theologie“ richtet sich in der Regel an theologische Feinschmecker. Doch derzeit liefert die 25. Ausgabe, die schon vor zwei Jahren erschien, Stoff für einen heftigen Schlagabtausch unter evangelischen Theologen. In seinem Beitrag „Die Kirche und das Alte Testament“ erörtert der Theologieprofessor Notger Slenczka die Frage, welchen Rang das Alte Testament (AT) für die christliche Kirche hat. Dabei stimmt er dem Befund des Kirchenhistorikers Adolf Harnack (1851–1930) zu, wonach das AT dem Status der sogenannten Apokryphen zuzurechnen sei. Also jenen jüdischen Texten, die nicht dem biblischen Kanon und damit nicht den heiligen Schriften zugeordnet werden.

    Bedeutung des Alten Testaments für Christen in Frage gestellt

    Das AT sei für Harnack „Zeugnis einer ethnisch gebundenen Stammesreligion“ mit partikularem Anspruch, so Slenczka, der an der Humboldt-Universität Berlin lehrt. Man könne daraus nicht „das Wesen des Christentums“ erkennen. Nach 1945 lehnen es die meisten christlichen Exegeten ab, das AT nur als Vorausdeutung auf Christus zu verstehen. Dann, so folgert Slenczka, stelle sich die Frage, was am AT noch spezifisch christlich sei.

    Scharfe Kritik: theologisch inakzeptabel

    Über Fachkreise hinaus Aufmerksamkeit fand Slenczkas Beitrag erst mit einer Stellungnahme des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Dessen evangelischer Präsident, der hessen-nassauische Pfarrer Friedhelm Pieper, kritisiert „einen handfesten Skandal im gegenwärtigen deutschen Protestantismus“. Slenczka verlasse mit seinen Thesen einen „Grundkonsens christlicher Theologie“, seine Abhandlung stelle eine „Neuauflage des protestantischen Antijudaismus“ dar.

    Auch Martin Stöhr, einer der Wegbereiter des christlich-jüdischen Gesprächs, fährt schweres Geschütz auf. Der angesehene Theologe wirft Slenczka „Verrat an der Bibel« vor. Ein Christentum ohne AT sei ein »Baum ohne Wurzel“, so Stöhr. Widerspruch kommt auch von Professorenkollegen. Slenczkas Äußerungen zur Bedeutung des AT für die christliche Theologie seien „historisch nicht zutreffend und theologisch inakzeptabel“, heißt es in einer Stellungnahme von fünf der 13 Theologieprofessoren der Humboldt-Universität Berlin.  Es stehe außer Zweifel, dass die Hebräische Bibel ebenso wie das Neue Testament „Quelle und Norm“ der evangelischen Theologie sei. Unterzeichner der Erklärung ist unter anderen der Kirchenhistoriker Christoph Markschies, der Vorsitzender der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

    Die Reaktionen 

    Die Kollegen-Kritik an seinen Thesen habe er mit „fassungsloser Heiterkeit“ wahrgenommen, so Slenczka. Mit „papalem Gestus altkirchlicher Ketzerjäger“ und völlig unbegründeten Behauptungen entzögen sich die Kritiker einer offenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung, beklagt er.

    Die Debatte schlägt mittlerweile auch kirchenpolitisch Wellen. Slenczka ist stellvertretender Vorsitzender des Theologischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands (VELKD). Deren leitender Bischof Gerhard Ulrich kündigte an, man werde mit Slenczka das Gespräch suchen. Der Reformierte Bund hat sich auf seiner Vollversammlung mit der „Abwertung“ des AT befasst und gefordert, „das AT im Angesicht Israels noch umfassender als bisher in Lehre und Predigt einzubeziehen“. Einige Teilnehmer erwogen, ob man sich überhaupt zu der als abwegig angesehenen Debatte äußern solle. Dem hielt die Theologin Margit Ernst-Habib entgegen: Die Diskussion habe bereits universitäre Kreise in den USA erreicht.

    Leitende Kirchenvertreter aus EKD und EKHN beziehen Stellung

    „Nicht so hochhängen“, empfahl der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, am Samstag in Würzburg am Rande der EKD-Synode. Das AT als Teil der christlichen Bibel stehe nicht infrage. »Jesus Christus ist ohne das AT nicht zu verstehen«, bekräftigte Bedford-Strohm.  

    Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung,  hat den gegenwärtigen Streit um den Stellenwert des Alten Testaments als Debatte bezeichnet, die den „Kern der Theologie berührt“.  Laut Volker Jung ist über den Stellenwert des Alten Testaments zu allen Zeiten des Christentums diskutiert worden. Es müsse deshalb auch heute zum wissenschaftlichen Diskurs gehören, diese Frage zu stellen. Jung wünsche sich aber „eine sachliche, wissenschaftlich fundierte und auf der Höhe des aktuellen christlich-jüdischen Gesprächs befindliche Auseinandersetzung“.  Jung halte deshalb die Grundthese Slenczkas, das Alte Testament auf den Rang der sogenannten apokryphen Schriften herabzustufen für abwegig und irritierend“. Jung erinnerte auch an die Erweiterung des Grundartikels der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vor fast 25 Jahren, in dem die evangelische Kirche ihre enge Verbundenheit mit dem Judentum und zugleich den Respekt für die Eigenständigkeit des jüdischen Glaubens zum Ausdruck bringt. 

    Gleichzeitig attestierte Jung dem Berliner Theologieprofessor aber auch,  „zentrale Fragen nach der Rolle der Schriften der hebräischen Bibel in Theologie und Kirche“  gestellt zu haben. Diese hermeneutischen Fragen seien immer  „grundlegend und diskussionswürdig“.  Jung: „Es bleibt in der Praxis und in der theologischen Forschung immer eine Herausforderung zu reflektieren wie wir als Christinnen und Christen die jüdischen Texte des Alten Testaments lesen und verstehen.“  

    Jüdischer Intellektueller hält Vorschlag für „Aussage gegen das Judentum“

    Kaum ein Tag, der nicht eine neue Stellungnahme zu dem Streit hervorbringt. Micha Brumlik, emeritierter Frankfurter Professor und jüdischer Intellektueller, räumt ein, Slenczka sei kein »klassischer Antijudaist«. Doch dessen Vorschlag, das AT aus dem christlichen Kanon zu entfernen, sei »natürlich auch eine Aussage gegen das Judentum«.

    Der Ton wird schärfer

    Der evangelische Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf teilt nach beiden Seiten aus. Er nennt Friedhelm Pieper, der als Erster Anstoß an Slenczkas Thesen nahm, einen »kirchlichen Möchtegern-Ajatollah aus der hessischen Provinz«. Was Slenczka betrifft: »War dieser Theologieprofessor niemals bei einer christlichen Beerdigung, in der mit Psalmen unserer Sterblichkeit gedacht wurde? Brauchen wir solche Texte nicht mehr zur religiösen Selbstreflexion?«

    Alttestamentler halten sich in der Debatte bislang auffällig zurück. Zu Slenczkas Ehrenrettung haben sich verschiedene namhafte Theologen in Leserbriefen an die FAZ aufgeschwungen. Slenczka werde missverstanden. Er fordere nicht die Abschaffung des AT. Er arbeite an dem »ernsthaften wissenschaftlichen Problem«, wie Altes und Neues Testament zueinander stehen. Die Fragen, die er stelle, müssten beantwortet werden. Wenn auch nicht in Slenczkas Sinne. 

    Der Ägyptologe Jan Assmann fasst es in einen Satz: „Mit dem Verlust des AT verlieren die Christen nahezu alles.“

    mehr über die Bibel

    [Rainer Clos und Martin Vorländer]

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