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    Holocaust-Gedenktag

    Was empfinden junge Menschen, wenn sie die Gedenkstätte Auschwitz in Polen besuchen?

    mittoo/istockphoto.comDer Eingang zum Konzentrationslager

    Rund 1,5 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr die Gedenkstätte Auschwitz besucht. Viele davon sind Jugendgruppen oder Schulklassen. Was empfinden junge Menschen angesichts des millionenfachen Mordes, der sich im Konzentrationslager abgespielt hat? Luisa Meyer beschreibt, was sie während eines Besuches erlebt hat.

    Martin Dimitrov/istockphoto.comTouristen in Auschwitz

    von Luise Meyer (Evangelische Sonntags-Zeitung)

    Auschwitz ist wie ein Hammer. Ein Hammer, der jedem, der einmal dort war, folgende zwei Worte in den Kopf schlägt: Nie wieder. Nie wieder darf so etwas passieren, niemals wieder darf zugelassen werden, dass so viele Menschen derart grundlos umgebracht werden. Nie wieder darf sich der Holocaust wiederholen. Daran mahnt uns die Gedenkstätte.

    Strahlender Sonnenschein im Konzentrationslager

    Mich trifft dieser dröhnende Hammerschlag, als ich im vergangenen Jahr die Gedenkstätte zum ersten Mal besuche. Ich reise mit einer Freundin, deren Vater und Bruder durch Polen, und Auschwitz ist eine unserer Stationen. Es ist strahlender Sonnenschein, als ich unter dem Tor mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ hindurchgehe. Überall laufen Besucher in kleinen Grüppchen herum. Sie tragen bunte T-Shirts, Turnschuhe und Sonnenhüte, um ihre Hälse baumeln Kopfhörer und Verstärker für die Führungen. Viele haben eine Kamera in der Hand und fotografieren die Zäune und die Häuser.

    Die ganze Zeit über habe ich ein seltsames Gefühl im Bauch und fühle mich unwohl. Angefangen bei dem Augenblick, als ich mir Sonnencreme auftrage, bevor die Führung losgeht, bis ich am Ende wieder ins Auto einsteige. Ständig frage ich mich: Wie gehe ich mit dem um, was ich hier zu Gesicht bekommen werde? Wie reagiere ich, wenn ich selbst an dem Ort bin, den ich von Schwarz-Weiß-Fotos aus Geschichtsbüchern kenne? 

    Viele denken, dass Traurigkeit erwartet wird

    Die Sozialwissenschaftlerin Marion Klein hat in ihrer Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin dazu geforscht, wie Jugendliche mit dem Holocaust umgehen. Dabei hat sie herausgefunden, dass viele Jugendliche in Gedenkstätten das Gefühl haben, es werde von ihnen erwartet, traurig zu sein. Klein nennt das „Trauer-Imperativ“. In ihrer Studie ist ihr aufgefallen, dass es vielen sehr schwerfällt, diese Trauer herzustellen. Mir geht es in Auschwitz ähnlich. Ich bin zwar traurig und bedrückt. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass jedes Lächeln und jeder kleine Scherz an diesem Ort fehl am Platz ist. Trotzdem fällt es mir schwer zu begreifen, dass hier über eine Million Menschen gequält und ermordet wurden. 

    Meine Fantasie weigert sich, Bilder in meinem Kopf zu produzieren 

    Ich stehe auf den Gleisen der Todesrampe in Auschwitz-Birkenau und versuche mir vorzustellen, wie es gewesen sein muss, als Jüdin, Kommunistin, Roma oder Homosexuelle hier in einen Wagen gepfercht anzukommen, mit einer großen Ungewissheit, was hier mit mir passieren soll und ob ich je meine Familie und Freunde wiedersehen werde. Es klappt nicht. Meine Fantasie schiebt einen Riegel vor und weigert sich, Bilder in meinem Kopf zu produzieren. 

    Ich sehe zwar die schmalen Betten, die dreistöckig in den Baracken nebeneinanderstehen. Und ich höre genau zu, als die Frau, die die Führung macht, von den Umständen erzählt: von den Ratten und den Läusen in den Baracken, von der bitteren Kälte im Winter, dem Geruch von Menschen, die auf engstem Raum leben müssen und nur wenige Möglichkeiten haben, sich zu waschen, von dem überquellenden Eimer mit Fäkalien in der Ecke der Baracken. Und natürlich von den Krematorien. Doch das alles dringt nicht wirklich in mich hinein. 

    Gepflegter Rasen und Sonnenschein stehen im Kontrast zur Geschichte

    Die Grausamkeiten passen einfach so gar nicht mit dem zusammen, was ich hier sehe. Der Rasen und der Weg sind gepflegt, die Sonne scheint noch immer und die fotografierenden Besuchergruppen wirken so friedlich, dass ich kaum glauben kann, dass vor 70 Jahren hier das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts begangen wurde.

    Auf einmal beginnt es heftig zu regnen. Die Luft riecht schwül, und die Besucher packen ihre Regenschirme aus. Meine Schuhe weichen ein und der Ort wirkt auf mich noch surrealer als bei Sonnenschein. 

    Ich lese meinen eigenen Namen

    Einen Moment lang bekomme ich dann doch eine Ahnung vom Ausmaß des Schreckens in Auschwitz. Ich stehe vor der Glaswand, hinter der sich bergeweise abgeschnittene Haare türmen. Sie wurden den Gefangenen vor der Vergasung abgeschnitten und zum Teil zu Teppichen verarbeitet. Teilweise erkenne ich noch einzelne Zöpfe oder Schleifen. Weiter hinten sehe ich Brillen, Schuhe und Koffer, die ebenso zu Bergen grausiger Überreste aufgetürmt sind. Auf einem der Koffer lese ich meinen eigenen Nachnamen. Erst hier dämmert mir langsam, was Auschwitz wirklich bedeutet: die brutale Auslöschung von unzähligen Individuen mit ihrer eigenen Geschichte und ihren eigenen Wünschen, Träumen und Ängsten.

    In einem der anderen Ausstellungsräume steht auf einem Schild auf Englisch und Polnisch ein Zitat des spanischen Schriftstellers George Santanaya: „Der, der sich nicht an Geschichte erinnert, ist dazu verpflichtet, sie noch einmal zu durchleben.“ 

    Ich denke an Auschwitz' psychischen Hammerschlag und die anderthalb Millionen Besucher, die 2014 die Gedenkstätte besucht haben. Und ich hoffe, dass jeder dieser anderthalb Millionen Menschen die zwei Worte mitnimmt, die Auschwitz einem einzuprägen versucht: Nie wieder!

    Luisa Meyer ist 19 Jahre alt. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr studiert sie in Berlin Politik.

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