Ehrenamtsakademie im Dekanat Kronberg

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    Interview

    Wie aktuell ist Buße?

    istockphoto.com/OtoBeautyFotoEinsamer Teddy„Buße“ bedeutet die Umkehr des Menschen zu Gott.

    Beschäftigen sich Menschen heutzutage noch mit Buße und Reue? Oder sind das althergebrachte und überholte Begriffe. Im Interview teilt Pfarrer Raimar Kremer seine Erfahrungen aus der Online-Seelsorge mit.

    Dr. Raimar KremerPortrait Dr. Raimar KremerDr. Raimar Kremer

    Herr Kremer, Sie bieten als „Pfarrer im Netz“ über die Website der EKHN eine Online-Seelsorge an. Über ein besonders geschütztes Email-Postfach kann man sich im vertraulichen Gespräch an Sie wenden.

    Sind persönliche Schuld oder der Wunsch nach Neuorientierung im Leben Themen, mit denen Sie in der Online-Seelsorge konfrontiert werden?

    Es sind eher Themen der Schuld, die einen persönlichen Hintergrund haben (ich habe  mich falsch einem anderen Menschen gegenüber verhalten; ich habe jemanden beleidigt; ich habe etwas Böses getan), manchmal jedoch auch einen religiösen Hintergrund. Vor nicht allzu langer Zeit erreichte mich diese Anfrage:
    „Ich bin gläubige Christin und getauft, aber gestern hab ich einen schweren Fehler gemacht. In einer sehr stressigen Situation habe ich geflucht, was ich sonst nie mache! Ich habe 'Verdammt nochmal Gott' gesagt, obwohl ich, bevor ich es ausgesprochen habe, bereits im Kopf wusste, dass ich es nicht sagen soll. In der Bibel steht, dass jede Sünde verziehen wird außer wenn man gegen Gott lästert. Jetzt habe ich Angst, dass ich dadurch kein Kind Gottes mehr bin und nicht in den Himmel komme! Wie sehen Sie das? Was kann ich tun?“

    Erhalten Sie Anfragen, ob man durch Buße bei Konflikten oder Problemen eine seelische Entlastung erreichen kann?

    Nicht das ich mich erinnern kann. Ich glaube, viele Menschen wissen um den Zusammenhang zwischen Buße (auch wenn sie dieses Wort nicht verwenden) und seelischer Entlastung. Etwas Schweres ablegen, mit anderen teilen oder einfach nur loswerden, ist entlastend. Aber dafür sucht man sich heute keinen Pfarrer, sondern postet seine Verfehlungen bei Facebook oder auf Internetportalen. 

    Ist der Begriff der „Buße“ überhaupt noch zeitgemäß?

    „Buße“ ist ein religiöser Begriff und bedeutet die Umkehr des Menschen zu Gott, von dem er sich durch eine Sünde entfernt hat. Daher wird der Begriff „Buße“ eher im religiös-kirchlichen Kontext verwendet. Außerhalb davon spricht man heute lieber von Reue. 

    Wir verspüren Reuegefühle, wenn wir unser Verhalten als falsch ansehen und bedauern, es uns aber verzeihen. Wir suchen nach Wegen der Wiedergutmachung und Vermeidung des Fehlers in der Zukunft. Während Schuldgefühle uns lähmen und unsere gesamte Energie aufbrauchen können, fühlen wir uns mit Reuegefühlen in der Lage, aktiv zu werden und behalten unsere Selbstachtung. Beispiel: „Ich bereue aufrichtig, den Unfall verursacht zu haben. Aber ich bin nur ein Mensch und mache leider – wie jeder Mensch – Fehler. Deshalb will ich mir endlich vergeben. Ich will sehen, ob und wie ich etwas gutmachen kann.“

    Die Blickrichtung ist eine andere: Bei Buße erwarte ich, dass Gott mir vergibt. Bei Reue kann ich mich selbst vergeben. 

    Können Sie bestimmte Buß-Rituale oder Buß-Formen empfehlen?

    Wenn Sie Mitglied der EKHN sind, haben Sie in den letzten Tagen einen Brief des Kirchenpräsidenten erhalten. Es geht um Buße, um den Hausputz für die Seele. Spätestens jetzt sollten Sie diesen Brief wieder hervorholen, wenn Sie sich nicht mehr genau daran erinnern. Für die, die nicht aus der EKHN kommen: In diesem Brief werde ich aufgefordert den Teppich meiner Verfehlungen umzuschlagen, um nachzusehen, was ich alles „unter den Teppich gekehrt“ hat. So weit so gut. Hier bleibt der Brief nicht stehen, er gibt auch praktische Tipps, wie ich weiter verfahren soll: Verfehlungen aufschreiben, die Fußboden-Karte mit diesen aufgeschriebenen Verfehlungen abtrennen und loswerden – z.B. zerknüllt im Papierkorb oder im Feuer. 

    Szenenwechsel: Ich sitze in einer Thomas-Messe und besuche die unterschiedlichen Stationen. Eine Station hat es mir besonders angetan. Hier werde ich aufgefordert alles aufzuschreiben, was mich von Gott und anderen Menschen trennt. Dann soll ich dieses Aufgeschriebene im Wasser versenken. In anderen Thomas-Messen muss ich dieses Aufgeschriebene verbrennen, um es loszuwerden, in anderen wiederum klein rollen und in einer Klagemauer aus Ziegelsteinen ablegen. Von allen Varianten gefällt mir die mit dem Wasser am besten. Sie ist „sauber“, sie rußt nicht, färbt auch nicht die Fingerspitzen rot mit Ziegelsteinstaub. Vielleicht entsteht diese Assoziation bei mir dank des Wassers. Aber macht sie mich auch „sauber“, „rein“ in einem theologischen Sinn, frei von Schuld oder Verfehlung? 

    Bei all diesen Ritualen werde ich aufgefordert etwas zu tun, um meine Schuld loszuwerden. Bei allen muss ich am Anfang schreiben. D.h. ich muss nachdenken, ich muss meine Gedanken sortieren und ich muss auf meine Taten sehen. Für manchen wird dieses Erinnern und Aufschreiben wie eine Strafe anmuten. Ist das schon der Akt der Vergebung? Wohl kaum. Denn ich muss ja wieder etwas machen, wenn ich das Schreiben geschafft habe: den Zettel im Wasser versenken, zerknüllen, verbrennen, in eine Ritze schieben. Endlich geschafft! Jetzt müsste ich frei von Schuld sein. Aber fühle ich mich auch so?

    So ausgeführte Rituale sind nach meinem Dafürhalten nicht nachhaltig, denn sie gaukeln dem Menschen vor, er könne sich selbst von seiner Schuld befreien. In Wirklichkeit belassen sie die Schuld bei den Menschen. Nichts ist vergeben. Nachdem ich meinen Zettel im Wasser versenkt hatte, fühlte ich mich gut. Dieses Gefühl hielt nicht an. Bald war es so wie immer. Die Schuldgefühle kamen zurück. 

    Wann machen bestimmte Rituale Sinn?

    Damit Rituale für mich Sinn machen, müssen neben der menschlichen Komponente zwei weitere Elemente dazukommen. Das eine ist Gott, den wir, wie im Vaterunser, um die Vergebung unserer Schuld bitten können. Der Impulspost-Brief spart diesen meiner Meinung nach wichtigen Aspekt leider aus. Bei der Thomas-Messe hätte mir der Hinweis genügt: "Er, Gott, ist es, der unsre Sünden ins äußerste Meer wirft." Aber er fehlte. Das andere Element ist ein vergebendes Wort, wie im Abendmahl: „Dir sind Deine Sünden vergeben“. Oder wie in einem Seelsorgegespräch: „ Im Namen Gottes sage ich Dir, dass Deine Schuld vergeben ist. Was gewesen ist, soll Dich nicht mehr beschweren; was kommt, soll Dir keine Angst machen.“

     

    Zusammen mit weiteren Kolleginnen und Kollegen bietet Pfarrer Raimer Kremer über diese Website eine Online-Seelsorge an.

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